Ein Misanthrop in Zeiten der Pandemie

Über das gespaltene Verhältnis von Tommy Tulpe zu seinen Mitmenschen habe ich bereits hinlänglich berichtet. Sie wissen also um den merkwürdigen Geisteszustand einer meiner engsten Menschen recht gut.
Seit einiger Zeit mache ich mir, wie jeder andere, meine Gedanken über die noch immer nicht überwundene Pandemie. Als Tommylein gestern vor sich hin singend (ZAZ ist gerade angesagt) über den Hof flanierte – zügig laufend kenne ich ihn nicht – kam mir plötzlich der Gedanke, dass Covid auch sein Gutes hat.

Stichwort: der kleine Misanthrop blüht während der Pandemie auf
Zugeben würde Mr. T. sein ambivalentes Verhältnis zu Zweibeinern natürlich nie, wobei ich ihn längst durchschaut habe.
Das erste Mal wurde ich Tommys Gedanken gewahr, als ich einem Gespräch zwischen seiner (krankhaft kontaktfreudigen, O-Ton Mr. T.) Mutter und ihm folgen durfte.
Er versuchte, ihr krampfhaft zu erläutern, warum er gern auf dem Ulmenhof lebt. Er begründete es mit: „Wenn man etwas nicht mag, ist einem weniger davon lieber“.
„Von mir hast Du gar nichts, wenn ich im Kreißsaal nicht allein gewesen wäre, würde ich glauben, sie hätten dich vertauscht“ meinte Thomas´ Mutter. Sozusagen, der war als Baby schon so, den wollte niemand haben („tauscht den bloß irgendwo um“).

Statt Insel

Zahlreiche Menschen können nicht nachvollziehen, warum Esther und Thomas dermaßen abgeschieden leben, wobei Esther ihrem Göttergatten immer ähnlicher wird. Uns Ulmenhof-Bewohnern kommt das jedoch zu Gute, da die beiden erst so richtig im Kontakt mit Tieren aufblühen (mit denen redet Thomas auch viel). Wer Zweibeiner meidet, kann Vierbeinern das größte Glück bescheren. So ist zumindest meine Erfahrung.
„Das wäre mir zu abgeschieden“, „Ist das einsam hier“, „Mir würde der Kontakt zu den Nachbarn fehlen“ sind z.B. Reaktionen von „normalen“ Menschen, die sich das erste Mal hierher verirren. Eine Dame meinte gar: „Hier möchte ich nicht tot überm Zaun hängen“
„Ja, wir haben auch lange gesucht, bis wir so etwas gefunden haben“ antwortet Mr. T. auf solche Äußerungen.
Diese Art von Unterhaltung finde ich immer wieder kurzweilig und erheiternd. Eine Insel wäre der Traum von E+T gewesen, nur gab es für 3,50 Euro keine (zumindest nicht mit Süßwasser). Eine abgeschiedene Berghütte war ebenfalls unerschwinglich, also fiel die Wahl auf einen ehemaligen Bauernhof in Ostfriesland.
Hier ist es fast wie auf einer Insel (s. Bild) und Besuchern geht der Misanthrop so gut es geht aus dem Weg… entweder hat er extrem wichtige Dinge im Haus oder auf unserer großen Weide zu erledigen. Am liebsten ist ihm aber, wenn er vorher weiß, dass jemand kommt, er ist dann meist einkaufen.
Was wollte ich eigentlich… ich bin ja fast schon so verwirrt wie Tommy.
Ach ja, Pandemie – wenig Besuche und wenn nur mit Abstand, keine Umarmungen (ich lach mich schlapp, dass Tommy jemanden umarmt habe ich noch nie, nie, nie gesehen) oder die Hand geben etc. Sie kennen ja die Regeln selbst.
Mir kommt es vor, als ob Thomas in der Pandemie richtiggehend auflebte. Die Verhaltensempfehlungen spielen ihm geradezu in die Hand.
Wegen der Maske kann Mr. Griesgram so düster schauen, wie er möchte, die Leute sehen es ja nicht. Apropos finster schauen, Sie müssten mal sehen, wenn unser Tommylein versucht zu lächeln, da zieht es Ihnen die Füße weg. Er verzieht das Gesicht, als litte er unter ultraextremen Schmerzen.
Seine Lieblingskassiererin im Supermarkt sagte mal zu ihm. „Du läufst mit einem Gesicht durch den Laden, da könnte man Angst bekommen“. Seitdem lächelt er jetzt öfter (ich schmeiß mich weg).

Also Sie sehen, es gibt auch (nichtmaterielle) Pandemiegewinner, zumindest bei uns. Ein Superspruch, mit dem sich meine Menschen aus jeder Affäre ziehen können ist: „Ich bin noch nicht geimpft“ – ich weiß nicht mal, ob das stimmt.
Ich glaube sogar, dass sich Esther das ausgedacht hat, Mr. T. hat das nur abgekupfert. Meine feste Überzeugung ist, dass auf dem Ulmenhof noch sehr lange die Pandemieauflagen gelten, selbst wenn alles vorüber ist… Vorsichtshalber, man weiß ja nie.

Und die Lockerungen kommen hier gar nicht gut an… endlich wieder in Urlaub fahren (ich bin froh, wenn ich nirgends hinmuss, im Supermarkt sehe ich genug Touries), sich mit Freunden treffen (welche Freunde?) Essen gehen (ich zieh mich doch jetzt nicht extra um) Theater, Kino (ich lese lieber ein wenig) – unglaublich die zwei. Es sind die totalen Langweiler, vielleicht ist es gut, dass ich sie nicht auf die Menschheit loslasse.

Ach wissen Sie, eigentlich sind E+T ganz in Ordnung, bisschen wunderlich halt aber liebenswert. Wenn es Sie das erste mal hierher verschlägt, Tommy ist der, der so schaut, wie der Butler eines Spukschlosses… Mehr als „Ich melde Sie“ werden Sie wohl von ihm nicht hören, er holt dann aber gleich Esther… Mr. T. ist halt keine Plaudertasche.

Wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagenWo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen (Fuchs konnte ich keinen finden)